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Warum Du Deine Ängste nicht loswerden musst

von Caroline de Jong, 07/25, Lesezeit: 6 Minuten

Du spürst Dein Herz rasen, die Atmung wird flacher, ein Gefühl der Enge – Anzeichen von Angst, die wir am liebsten sofort loswerden möchten. Doch was wäre, wenn genau dieser Wunsch, die Angst zu beseitigen, Teil des Problems ist?

Angst gehört zu den grundlegendsten menschlichen Emotionen und erfüllt eine wichtige Überlebensfunktion, die tief in unserer Evolution verwurzelt ist. Während Du vielleicht verzweifelt nach Wegen suchst, Deine Ängste loszuwerden, stellt sich die entscheidende Frage: Ist das überhaupt der richtige Ansatz?

Akzeptanz der Angst statt Verdrängung

Entgegen der weit verbreiteten Meinung geht es beim Umgang mit Angst nicht darum, sie komplett zu eliminieren. Denn das funktioniert in der Regel nicht, sondern führt nur zu Verdrängung, was sie langfristig verstärken kann. Ein neuer Ansatz kann Dein Leben nachhaltig verändern: die Akzeptanz Deiner Ängste als wertvoller Begleiter, sie eher zu umarmen und einzuordnen als wegzuschieben.

Angst als Teil des Lebens akzeptieren

Deine Ängste sind keine Feinde, sondern natürliche Schutzmechanismen, die Dich in gefährlichen Situationen warnen. Sie gehören zum Menschsein dazu – ein angstfreies Leben existiert nicht. So besteht das Ziel darin, einen guten Umgang mit ihnen zu finden und anstatt sie zu bekämpfen, kannst Du ihnen eine neue Rolle geben – sie als wertvolle Teammitglieder sehen, die Wächter oder Hinweisgeber sind (und nicht Anführer Deines Lebens).

Was passiert, wenn wir Angst verdrängen?

Das Verdrängen von Ängsten kann kurzfristig Erleichterung bringen, führt jedoch langfristig zu größeren Problemen. Verdrängte Gefühle verschwinden nicht, sondern arbeiten im Unterbewusstsein weiter. Sie können später als Depressionen, verstärkte Ängste oder sogar körperliche Beschwerden zurückkehren.

Oftmals neigen Menschen zum Verdrängen ihrer Angst, wenn sie Ängste bewusst oder unbewusst mit schlechten Erfahrungen assoziieren. Sie haben vielleicht Ausgrenzung, Belustigung oder Verachtung erlebt, wenn sie sich ängstlich gezeigt haben anstatt Schutz und Beruhigung. Um weiteren Schmerz zu vermeiden, drücken sie Angst weg. Aber diese kommt durch die Hintertür zurück.

Was schürt die Angst noch?

Nicht nur das Wegdrücken von Angst, sondern auch von Wut, kann Angst begünstigen. Es kann sogar zu Panik – oder Angststörung führen. Wenn ein Mensch in der Kindheit wütend war und daraufhin Bestrafung erfahren hat, kann es sein, dass er sich dafür entschieden hat, Wut und Ärger lieber nicht zu spüren und verwandelt Wutgefühle eher in Angst. Anstatt sich mit der eigenen Kraft zu zeigen, zieht sich die Person zurück und macht sich klein. Dadurch kann sich die Angst vergrößern und zunehmen. Diesen Menschen kann es helfen, ihre Wut wiederzuentdecken und zu fühlen. Andere Faktoren für die Entstehung von Angst und Angststörungen sind häufig Auslöser traumatischer Erlebnisse, langanhaltender Stress oder eine genetische Veranlagung. Auch körperliche Faktoren wie eine Schilddrüsenüberfunktion können eine Rolle spielen. In manchen Fällen beeinflussen Medikamente, Koffein oder andere Substanzen das Angsterleben. Bemerkenswert ist, dass viele Menschen Angststörungen ohne erkennbaren äußeren Auslöser entwickeln. Die Neigung zu verstärkten Angstgefühlen liegt nachweislich oft in der Familie – teils genetisch bedingt, teils erworben durch das Zusammenleben mit ängstlichen Bezugspersonen.

Wie umgehen mit der Angst?

Annahme durch Verständnis – ein wichtiger Schritt zum besseren Umgang mit Deinen Ängsten ist, sie wirklich zu verstehen. Ähnlich wie bei einem komplexen Puzzle hilft Dir das Erkennen einzelner Teile dabei, das Gesamtbild klarer zu sehen . Auch sie zu verstehen hilft sie leichter anzunehmen. Wichtig ist aber vor allem, dass Du der Angst Zuwendung schenkst, z. B. indem Du sie innerlich in den Arm nimmst, sie würdigst und einfach da sein lässt.

Dies setzt natürlich ein Erkennen der Angst voraus.

Körperliche und emotionale Reaktionen erkennen

Angst zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. Körperlich kann sie sich äußern durch:

Auf emotionaler Ebene erlebst Du möglicherweise Gefühle von Gereiztheit, innerer Unruhe oder sogar das Gefühl von Unwirklichkeit (Derealisation). Deine Gedanken kreisen dann häufig um die angstauslösenden Situationen, und es kann sich eine „Angst vor der Angst“ entwickeln – dies ist vor allen Dingen bei Angststörungen der Fall.

Innere Ängste überwinden durch Selbstbeobachtung

Ein weiteres wirkungsvolles Werkzeug zur Überwindung Deiner Ängste ist die bewusste Selbstbeobachtung. Durch sie lernst Du, Deine eigenen Angstmuster zu erkennen und schrittweise zu durchbrechen.

Führe für etwa zwei Wochen ein Angsttagebuch, in dem Du folgendes festhältst:

  1. Datum und genaue Situation, in der die Angst auftrat
  2. Dauer und Intensität des Angsterlebens (auf einer Skala von 1-10)
  3. Deine genauen Gedanken während der Angst
  4. Körperliche Reaktionen, die Du bemerkt hast
  5. Dein Verhalten in der Situation

Dieses systematische Beobachten ermöglicht Dir, wiederkehrende Muster zu erkennen. Du wirst besser verstehen, welche Situationen bei Dir Angst auslösen, wie sich diese körperlich und emotional äußert und welche Gedanken sie begleiten.

Durch dieses Wissen wird Deine Angst von einem abstrakten, überwältigenden Gefühl zu einem konkreten, fassbaren Phänomen – der erste wichtige Schritt, um innere Ängste nachhaltig zu überwinden und mit ihr einen neuen Umgang zu finden.

Neue Wege im Umgang mit Angst

Nachdem Du Deine Ängste besser kennengelernt hast, kannst Du nun wirksame Strategien entwickeln, um mit ihnen umzugehen. Der moderne Ansatz setzt nicht auf Vermeidung, sondern auf aktive Bewältigung – ein Schritt, der Mut erfordert, aber langfristig zu mehr innerer Stärke führt.

Die Angst umarmen

Manchmal hilft es mit der Angst zu sprechen und sie vom Herzen zu berühren oder gar zu umarmen. Du kannst hierfür in Deinen Körper spüren, wahrnehmen wie und wo Du sie fühlst. Vielleicht siehst Du auch eher ein Bild oder eine Farbe. Wende Dich der Angst zu, sag ihr, dass Du verstehst, warum sie da ist, dass Du weißt, dass sie Dich schützen will. Du kannst Dich dafür bei ihr bedanken und sie mit Liebe berühren. Lass Dich hierfür von Deiner Intuition leiten, ob es eher über eine Absicht aus dem Herzen geht oder mithilfe eines Bildes.

Atemtechniken und Entspannung

Du kannst die Angst auch mithilfe von Atmung regulieren. Bei Stress oder Angst wird die Atmung häufig flach und schnell – etwa 14 bis 18 Atemzüge pro Minute statt der idealen zehn. Diese Atemveränderung verstärkt Deine Angstsymptome zusätzlich.

Da bei Angst die Tendenz ist eher kurzatmig zu sein, ist Bauchatmung ein sehr gutes Gegenmittel:

Du kannst die Bauchatmung auch mit der 4-7-8-Atmung kombinieren, um so besonders effektiv den Parasympathikus zu aktiveren, der für Entspannung zuständig ist: Atme vier Sekunden ein, halte den Atem sieben Sekunden und atme acht Sekunden aus.

Angst abschütteln

Angst verursacht viel Stress im Körper und kann auch von uns Menschen mithilfe von Schütteln reguliert werden. Dies geht sich nicht immer und überall. Aber wenn Du z. B. zuhause bist oder an einem ungestörten Ort und es kommen Ängste in Dir hoch, kann es wirkungsvoll sein Deinen Körper für längere Zeit (5 bis 15 Minuten) zu schütteln, um so Stress zu lösen. Beruhigte Nerven führen zu anderen Gedanken und Sichtweisen und dadurch zu reduzierter Angst.

Sicherheit und Vertrauen kultivieren als Gegengewicht zur Angst

Wenn Angst da ist, ist meist auch unser Gefühl von Sicherheit und unser Vertrauen gestört. Daher ist es sehr wirkungsvoll, Vertrauen und ein inneres Sicherheitsgefühl in sich selbst zu etablieren - beispielsweise mithilfe von Visualisierungen oder Affirmationen. Du kannst Dich im Geiste dafür beispielsweise an einen Ort Deiner Fantasie imaginieren, wo Du Dich sicher und geborgen fühlst, um dort Sicherheitsgefühl zu tanken.

Du kannst auch mit Affirmationen arbeiten, die Vertrauen und Sicherheit in Dir nähren wie beispielsweise:

Weitere wirksame Angst-Affirmationen sind:

Wie genau Du mit Affirmationen arbeiten kannst, erfährst Du in diesem Blogartikel.

Die Geschichte zu Ende erzählen

Viele psychologische Ängste basieren oftmals auf diffusen, unausgesprochenen und nicht zu Ende gedachten Horrorfantasien. Es kann helfen, Geschichten zu Ende zu denken, um so dem Schreckensgespenst ins Gesicht zu sehen und ihm damit die Kraft zu nehmen.

Wie das geht? Hier ein Beispiel: Jemand hat Angst seinem Chef zusagen, dass er mit dem aktuellen Workload überfordert ist. Da könnte eine diffuse Angst dahinterstehen, ausgelacht, gefeuert oder ausgestoßen zu werden, im schlimmsten Fall wie von der Welt aus dem Leben und der Gesellschaft zu fallen, wenn man das sagt und zugibt. Wenn man die Geschichte nun zu Ende erzählen will, dann schaut man, was könnte realistischerweise passieren, wenn man dem Chef die Rückmeldung gibt? Im schlimmsten Fall hält er einen für unfähig und feuert einen. Und dann? Dann wäre er arbeitslos, würde Arbeitslosengeld oder Bürgergeld bekommen. Und dann? Vielleicht könnte er sich die Wohnung nicht mehr leisten und müsste umziehen und dann? Dann würde er umziehen und/oder sich einen neuen Job suchen, Umschulungen machen oder, oder… Vielleicht gibt es auch Rücklagen oder einen Partner, sodass die Wohnung gar nicht verlassen wird. Also Du siehst schon, wenn man das Schreckensszenario mal zu Ende denkt, ist es in der Regel weniger bedrohlich, denn irgendwann gibt es eine Lösung.

Reality Check

Bei Ängsten, die vor allen Dingen im sozialen Kontext auftauchen, hilft es einen Reality Check zu machen. Ein Beispiel: Du hast Dich beim Vortragen sehr verhaspelt und hast die Befürchtung, dass die Leute Dich nun aufgrund dessen für inkompetent halten. Dann frage jemanden aus der Zuhörerschaft: Wie war es für Dich? Was hast Du gedacht, als ich mich verhaspelt habe? Hat es auf Dich inkompetent gewirkt, als ich mich verhaspelt habe?

Dies erfordert viel Mut, kann aber sehr wirkungsvoll sein. Denn sogar, wenn die Person die eigene Befürchtung bestätigen sollte – was meistens jedoch nicht der Fall ist – wird die Situation konkret und lässt sich leichter verarbeiten als ein Angstgespenst im Kopf. Vielleicht tut es im schlimmsten Fall weh, aber die Angst wird weichen, denn Du weißt, woran Du bist.

Wie Achtsamkeit langfristig hilft

Durch regelmäßige Achtsamkeitspraxis kannst Du – so belegen es wissenschaftliche Daten – Deine Angstreaktionen dauerhaft reduzieren. Ängste beziehen sich eigentlich immer auf die Zukunft und nähren sich in der Regel aus Gedanken. Achtsamkeit bringt Dich zurück ins Hier und Jetzt, wo Du Sicherheit wieder erfahren und Beruhigung erleben kannst.

Hier gibt es beispielsweise die 5-4-3-2-1-Methode:

Achtsamkeit kann auch dabei helfen, die eigene Angst mal genauer zu erforschen. Ist da wirklich nur Angst oder sitzt da drunter vielleicht auch eine Wut? Wenn ja, dann erlaube Dir auch diese zu fühlen.

Was Du aus Deiner Angst lernen kannst

Hinter jeder Angst verbirgt sich ein wichtiger Hinweis auf Deine persönlichen Werte und Entwicklungspotenziale. Was Deine Ängste Dir zeigen können, ist oft weit wertvoller als die kurzfristige Erleichterung durch Vermeidung.

Angst als Wegweiser für Veränderung

Hast Du schon einmal bemerkt, dass Deine Ängste genau dort auftreten, wo Du Dich in Situationen befindest, denen Du noch nicht gewachsen bist? Das macht sie zu präzisen Wegweisern für persönliches Wachstum. Psychologen bestätigen: Jeder wichtige Entwicklungsschritt ist mit Angst verbunden, weil er Dich in unbekanntes Terrain führt.

„Dort, wo Deine Angst ist, ist Deine Aufgabe“ – dieser Grundsatz verdeutlicht, dass Deine größten Ängste oft mit Deinen tiefsten Sehnsüchten zusammenhängen. Spürst Du Unbehagen beim Gedanken an öffentliches Sprechen? Vielleicht liegt genau dort Deine Bestimmung, andere zu inspirieren. Fürchtest Du Dich vor beruflichen Veränderungen? Möglicherweise wartet dort eine erfüllende Karriere auf Dich.

Wie Du Deine Visionen trotz Angst verfolgst

Wer kennt es nicht? Wir haben Träume und Ziele, doch die Angst hält uns zurück. Um Deine Ziele trotz Angst zu erreichen, hilft die gezielte Auseinandersetzung mit Deinen Befürchtungen. Ein praktisches Werkzeug ist das „Fear Board“, auf dem Du visualisierst, welche Ängste mit Deinen Träumen verbunden sind. Ergänze es durch ein „Solution Board“ mit konkreten Lösungsansätzen.

Trotz Angst in Bewegung zu bleiben, erfordert zunächst eine ehrliche Standortbestimmung: Was willst Du wirklich, und welche Ängste hindern Dich daran? Beachte dabei, dass Ängste vor großen Lebensentscheidungen häufig in drei Kategorien fallen: Versagensangst, Angst vor Anstrengung und Angst vor Ablehnung. Um sich von ihnen nicht aufhalten zu lassen, hilft es oft, die Sehnsucht in sich zu stärken oder auch das Gefühl, dass Du hast, wenn Du Dein Ziel erreicht hast.

Auch kann es helfen zu wissen, dass es Dich jedes Mal stärkt, wenn Du Deine Angst bewältigt hast. Andererseits schwächt Dich jedes Ausweichen. Ein einfacher Test: Was erschreckte Dich vor drei Jahren? Beunruhigt es Dich heute noch? Vermutlich nicht – ein Beweis dafür, dass Ängste oft unbegründete Zukunftsprojektionen sind, die ihre Macht verlieren, wenn wir ihnen begegnen.

Mit Angst wachsen, statt gegen sie kämpfen

Auch, wenn wir es uns manchmal anders wünschen: Ängste gehören untrennbar zum Menschsein – sie werden Dich niemals vollständig verlassen. Was Du jedoch grundlegend verändern kannst, ist Dein Umgang mit ihnen.

Die zentrale Botschaft dieses Artikels lautet: Du musst Deine Ängste nicht loswerden. Der wahre Schlüssel liegt im Verstehen, Akzeptieren und bewussten Erleben dieser Gefühle. Sobald Du Deine eigenen Angstmuster erkennst und ihnen mit gezielten Techniken wie Atemübungen, Visualisierungen oder bewusster Konfrontation begegnest, wird sich Deine Beziehung zur Angst nachhaltig wandeln.

Besonders wertvoll ist die Erkenntnis, dass Angst ein präziser Wegweiser für persönliches Wachstum sein kann. Dort, wo Deine Knie schlottern, liegt oft der Schatz verborgen – sei es berufliche Erfüllung, tiefere Beziehungen oder mehr Lebensfreude. Falls Du diesen Weg der persönlichen Entwicklung vertiefen möchtest, bieten sich als wertvolle Möglichkeit, Dein Verständnis psychologischer Prozesse zu erweitern und praktische Methoden zur Angstbewältigung zu erlernen.

Letztendlich geht es nicht darum, ein angstfreies Leben zu führen – ein solches existiert nicht. Die wahre Freiheit liegt vielmehr darin, trotz Angst handlungsfähig zu bleiben und zu erkennen, dass diese Emotion weder gefährlich noch schädlich ist, sondern Teil des menschlichen Lebens ist, mit der Du nicht allein bist.

Autorin Caroline de Jong

Über Caroline de Jong

Caroline de Jong arbeitet mit ihrem Hintergrund als Psychologin (MSc.), Körper-Psychotherapeutin, Achtsamkeits- und Yogalehrerin sowohl als Studientutorin als auch als Dozentin an der ALH-Akademie, an der sie u.a. die Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer entwickelt hat und betreut. Seit über 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Positiver Psychologie, Bewusstseinsentwicklung und Ganzwerdung und freut sich über jeden, der auf diese Themen neugierig ist.

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