#trustissues - Vertrauen aufbauen, Kontrolle abgeben!

Nur wer seine Angst überwindet, kann Vertrauen entwickeln

Ich stehe in 15 Metern Höhe in der Kletterwand, einen halben Meter über der letzten Exe. Eigentlich gar nicht so viel, doch das Adrenalin in meinen Adern macht sich deutlich bemerkbar. „Und jetzt: Loslassen“ ruft der Trainer von unten herauf. Mein Blick wandert einige Male zwischen dem Seil vor mir und meiner Kletterpartnerin, die mich vom Boden aus sichert, hin und her. Mein Gehirn checkt ab: Habe ich mich richtig ins Seil eingebunden? Keine Gefahr, mich beim Fallen im Seil zu verheddern? Wird meine Kletterpartnerin, die ich bis zu diesem Kurs noch gar nicht kannte, mich auch halten? Es braucht dann noch diesen kleinen Impuls von Innen, der mich schließlich dazu bringt, loszulassen, mich Mensch und Material anzuvertrauen.

Ähnlich wie bei diesem Sturztraining ist es im „richtigen“ Leben: Nur wer seine Angst überwindet, kann Vertrauen entwickeln. Umgekehrt ist es allerdings auch so, dass ein gewisses Maß an Angst eine Grundvoraussetzung für Vertrauen ist. Ein Psychopath, der keinerlei Angst empfindet, kann auch kein Vertrauen entwickeln.

Menschen unter WasserDas Urvertrauen aus der Kindheit!

In der Psychologie wird Vertrauen vor allem im Kontext von Persönlichkeitsentwicklung und im Rahmen von Beziehungen betrachtet. Das Ur-Vertrauen wird als Grundlage einer gesunden Entwicklung gesehen – es entsteht in unseren frühen Beziehungen, schon vor der Sprachentwicklung. Menschen, bei denen die Beziehungen in den ersten Jahren wenig förderlich waren - die z.B. Vernachlässigung oder gar seelischen oder körperlichen Missbrauch erdulden mussten - entwickeln eher ein Ur-Misstrauen. Häufig fällt es diesen Menschen im späteren Leben besonders schwer, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen.

In Therapie und Beratung kann an diesem Thema gearbeitet werden. In modernen psychoanalytischen Konzepten wird in diesem Zusammenhang von „Nachreifung des Selbst“ gesprochen. Hier lernt der Patient in der professionellen Beziehung zu seinem Therapeuten, Vertrauen zu entwickeln.

Vertrauensverlust im weiteren Leben

Auch viele von uns, die durchaus ein grundlegendes Ur-Vertrauen entwickeln konnten, sind auf ihrem Lebensweg ein wenig misstrauisch geworden. Meist begann das damit, dass wir im Elternhaus die Erfahrung machten, Anerkennung und Zuneigung vor allem dann zu bekommen, wenn wir uns erwartungsgemäß verhielten. Wenn wir selbst-bewusst andere Wege gingen, erlebten wir teilweise Ablehnung, mitunter gar Kontakt-Abbruch. Und auch das Erwachsenen-Leben hält die eine oder andere Enttäuschung für uns bereit. Die menschliche Reaktion ist es, aus diesen negativen Erfahrungen zu „lernen“ – wir nutzen unsere Erfahrungen, um Voraussagen für die Zukunft zu treffen. Weil wir uns schützen möchten, führt das aber leider häufig zu einer Fehlbewertung. Denn der Mensch – tief in seinem Inneren immer noch auf Angriff des Säbelzahntigers geprägt – neigt dazu, negativen Erfahrungen mehr Gewicht zu geben als den positiven. Wir werden vorsichtig, möchten vermeiden, verletzt zu werden.

Beim Klettern macht das durchaus Sinn – wenn ich mein Leben im wahrsten Sinne des Wortes in die Hände meiner Kletterpartnerin lege, ist es sehr beruhigend zu wissen, dass Sie sich ohne mit der Wimper zu zucken eher die Finger verbrennen als das Bremsseil loslassen würde. Und wir pflegen das Ritual des „Partnerchecks“ – wir kontrollieren gegenseitig Klettergurt, Anseilknoten und Sicherungsgerät. Erst dann kann’s losgehen.

Manch einer mag sich solch einen „Partnercheck“ für das richtige Leben wünschen – und tatsächlich versuchen wir es dann auch hier häufig mit Kontrolle. Wir kontrollieren, ob der Partner unser Vertrauen denn auch wirklich „verdient“ hat. Doch Vertrauen basiert – ähnlich wie Glauben – eben nicht auf unwiderlegbarem Wissen. Vertrauen in Beziehungen muss Platz lassen für gelegentliche Fehler, denn jede Erwartung eines perfekten Ideals führt unweigerlich zu einer Enttäuschung – wir sind nun mal nicht perfekt. Und die Enttäuschung bestärkt uns in unserem Zweifel: „Hab‘ ich doch gewusst, dass ich dir nicht wirklich vertrauen kann!“

Es ist unsere Entscheidung zu vertrauen!

Die naheliegende und beinahe logische Konsequenz scheint dann, einfach niemanden mehr wirklich an sich heran zu lassen. Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass es sich um eine Entscheidung handelt, die wir treffen. Oft hört man den Ausdruck „Ich kann einfach nicht vertrauen“. Aber nein – es geht hier nicht um Können, sondern um Wollen (abgesehen von wirklich tiefgreifenden frühen Störungen). Diese unbequeme Wahrheit hat auch eine sehr positive Seite: Es liegt in unserer Hand, eine solche Entscheidung wieder zu revidieren. Zu entscheiden: „Ich vertraue!“ Die Umsetzung freilich braucht ein wenig Zeit. Professionelle Unterstützung auf diesem Weg hilft dabei, zunächst einmal zu sortieren, welchen Anteil äußere Bedingungen, z.B. das Verhalten meines Partners, und welchen Anteil meine eigenen Gedanken an dem Misstrauen haben, das ich empfinde. Wenn wir belogen wurden, können wir unser Misstrauen zunächst einmal als eine sehr angemessene Reaktion darauf betrachten. Welche Motive hatte der Partner? Sind diese für mich nachvollziehbar, wenn ich mich in seine Situation versetze? Worin genau liegt die Verletzung, die ich empfinde? Hat das Handeln meines Partners gegen eine Vereinbarung verstoßen, die wir miteinander getroffen haben? Wenn hier persönlich wichtige Werte verletzt wurden, kann dies durchaus auch die Beendigung einer Beziehung zur Folge haben.

Misstrauen entsteht in unserem Kopf!

Häufig kommt es jedoch auch vor, dass unser Misstrauen vor allem von Gedanken genährt wird, die mit der Realität wenig zu tun haben. Eine eingehende Nachricht auf dem Handy des Partners lässt die Alarmglocken klingeln … ist das vielleicht eine Nachricht einer anderen Frau? Klar, sonst würde er doch sofort darauf antworten, wenn er nichts zu verheimlichen hätte. Oder alternativ: Klar, sonst würde er doch nicht direkt darauf antworten … wir interpretieren unsere Beobachtungen so, wie sie in unsere Denkmuster passen. So sind über die Jahre aus kleinen Trampelpfaden mitunter breite Trassen in unserem Gehirn entstanden, die bei entsprechenden Auslösern in einer Art Automatismus immer wieder dieselben Denkmuster aktivieren – verbunden zumeist auch mit körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen und Übelkeit, die ihrerseits unsere Bereitschaft steigern, Dinge negativ zu interpretieren. Ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt und uns in einen sehr unangenehmen Zustand versetzt, aus dem heraus wir kaum mehr in der Lage sind, die Situation rational einzuordnen. Vielleicht war es auch nur eine Nachricht vom Chef, vom besten Freund, von seinen Eltern … Hier eine gesunde Balance zwischen Blauäugigkeit und Misstrauen zu finden, ist gar nicht so einfach.

Selbst-Vertrauen aufbauen und loslassen!

Sehr hilfreich kann es sein, zunächst einmal beim Selbst-Vertrauen zu beginnen. Wo habe ich mich selbst enttäuscht, wo habe ich meine eigenen Ideale verraten? Kann ich mir selbst verzeihen? Halte ich mich selbst – trotzdem – für liebenswert? Für viele Menschen ist für solche Fragen beispielsweise die Arbeit mit dem „Inneren Kind“ ein guter Zugang, um im Umgang mit sich selbst eine akzeptierende und liebevolle Haltung zu entwickeln. Auf dieser Grundlage fällt es uns dann sehr viel leichter, eine solche Haltung auch gegenüber anderen Menschen einzunehmen und uns auf das Abenteuer Vertrauen einzulassen. Ja, damit machen wir uns verletzlich. Und ja, damit geben wir uns auch die Chance, zu erleben, dass es sich lohnen kann, anderen Menschen (wieder) unser Vertrauen zu schenken. Als „Gewinn“ winken mehr Nähe und emotionale Bindung in unseren Beziehungen. Also: Lassen Sie los!

Loslassen lernen – Eine Übung

Im Alltag ist es gar nicht so leicht, von unseren Vorstellungen, Erwartungen und Ängsten loszulassen. Eine gute Möglichkeit, diese Fähigkeit zu trainieren, liegt in der Meditation.

Wiederaufbau von Vertrauen – 5 Gedanken zur Verinnerlichung

 

Dozentin ALH Christina Clayton

Über Christina Clayton

Christina Clayton war Studientutorin an der ALH-Akademie. Sie ist ein Fan der Positiven Psychologie und von Humor in Beratung & Therapie. Für eine gesunde Balance zwischen Körper und Geist im Alltag sind Sport, Naturerfahrung und Reisen in ihrem Leben unverzichtbare Bestandteile.

 

Ausbildungen in der psychologischen Beratung

An der ALH-Akademie erwerben Studierende berufsbegleitend in Lehrgängen wie dem Psychologischen Berater, dem Paarberater, dem Happiness Trainer u. v. m. die Fachkompetenzen, sich selbst und andere zu reflektieren und Menschen in schwierigen Lebensphasen und konfliktären Situationen zu unterstützen und zu beraten.

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