Einführung der ICD-11 in Deutschland | ALH

Bild ICD-11

von Jörg Schaller

Ich erhalte immer wieder Anfragen von Studierenden und Kollegen hinsichtlich der Einführung der ICD-11 in Deutschland. Diesbezüglich gibt es allerdings noch viele Unklarheiten. Aber auch einiges, was klar ist, wenn man ein wenig nachforscht.

Was ist die ICD überhaupt?

Kurz gesagt: Die ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wurde ursprünglich entwickelt, um Todesursachen besser kennzeichnen zu können und fand im Jahr 1900 ihre erste Anwendung. Später kamen auch die Beschreibung und Diagnostik von Krankheiten hinzu. Die ICD findet im Prinzip weltweit Anwendung, es gibt landestypische Modifikationen, in Deutschland z.B. die German Modification (GM).

Manche Länder gebrauchen aber auch eigenständige Klassifikationen, wie die USA. Dort wird für psychische Erkrankungen das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) genutzt. Aber auch in Asien gibt es Alternativen. Jedoch arbeiten die Ideengeber der ICD (World Health Organization, WHO) und des DSM (American Psychiatric Association, APA) eng zusammen und es gibt Möglichkeiten, Diagnosen in das andere System umzuschreiben. Auf jeden Fall war und ist es eine gewaltige Leistung der Menschheit, eine relativ allgemeingültige Systematik im Beschreiben von Todesursachen und Krankheiten anzuerkennen und sich auf verschiedene allgemeingültige Kapitel zu einigen, um einen internationalen Standard und Vergleichbarkeit zu erreichen.

Die ICD wird regelmäßig aktualisiert und auch grundlegend überarbeitet. Dazu beraten sich verschiedene Wissenschaftler, Mediziner und Fachleute. In Deutschland findet derzeit die deutsche Version (ICD-10 German Modification) Anwendung. Das Kapitel 5 (F) für psychische Krankheiten ist deskriptiv (beschreibend), Ursachen von Krankheiten spielen hier in der Regel keine Rolle.

Warum ist es dann wichtig, die ICD-11 einzuführen?

Diese Frage ist natürlich berechtigt. Ich persönlich bin der Meinung, dass das Kapitel F der ICD-10 für psychische Krankheiten sehr gelungen ist. Die Störungsbilder sind gut beschrieben und als Diagnostiker kann man systematisch vorgehen. Außerdem ist es möglich, das Werk durch die einzelnen Länder landestypisch ergänzen zu lassen und zu aktualisieren.

Aber vermutlich ist es wie bei guten Maschinen: irgendwann muss das Modell grundlegend erneuert werden, z. B. weil technische Fortschritte sich in das bisherige Modell nicht mehr sinnvoll integrieren lassen. Medizinische und wissenschaftliche Erkenntnisse verändern und erneuern sich, Weltanschauungen wanken, neue Störungen und Krankheiten kommen dazu oder fallen weg. Ein Beispiel wäre die Homosexualität. Im DSM 3 bereits 1987 als Störung entfernt, trennte sich auch die ICD 1991 von der Vorstellung, Homosexualität sei krankhaft. In der ICD-9 spielte diese Idee noch eine wichtige Rolle, in der 10. Version dann nicht mehr. Beim Blick in die Zukunft erkennt man aber auch Unterschiede: in der 11. Version wird Burnout nochmal umfänglicher beschrieben, genauso wie Computerabhängigkeit (Gaming Disorder) und das zwanghafte Horten (Messi). Gerade Gaming Disorder spielte beim Erscheinen der ICD-10 im Jahr 1992 keine Rolle, weil Computer nicht den Stellenwert von heute hatten. Außerdem soll die Anwendung der ICD-11 mit Internetportalen und Computern weiter vorangetrieben werden. So ist man schneller auf dem neusten Stand. Die Unterschiede in der Diagnostik von ICD-10 und 11 sind vielfältig. Die einzelnen Diagnosekriterien bleiben aber weitestgehend erhalten. Eine Depression wird weiterhin durch die gleichen Kriterien diagnostiziert wie zuvor.

Heilpraktiker Psychotherapie werden

Bedeutung für die Überprüfung vor dem Gesundheitsamt und für den Praxisalltag

Ich kann Euch beruhigen, erstmal bedeutet das keine nennenswerte Neuerung in Bezug auf die Heilpraktiker Psychotherapie Prüfung. Ich habe bei zwei großen Gesundheitsämtern nachgefragt (Köln und Düsseldorf) und diese haben freundlicherweise ziemlich schnell geantwortet: „Sehr geehrter Herr Schaller, ICD-11 spielt aktuell bezüglich der Überprüfungen keine Rolle. Wann dies der Fall sein wird, ist es hier leider auch nicht bekannt“. Der Verband, dem ich angehöre, hat ähnliches geschrieben: „Sehr geehrter Herr Schaller, das ICD-11 sollte auch in Deutschland ab 01. Januar 2022 gelten. Fünf Jahre lang besteht aber eine Übergangsfrist, in der Sie weiterhin das ICD-10 nutzen können, da eine Übersetzung für das ICD-11 offiziell noch nicht besteht. Alle wichtigen Informationen finden Sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Mit freundlichen Grüßen“. Beim (BfArM) heißt es wortgemäß: „Die ICD-11 wurde im Mai 2019 von der WHA72 verabschiedet und trat am 01. Januar 2022 in Kraft. Seitdem können die Mitgliedsstaaten der WHO ihre Mortalitätsdaten ICD-11-kodiert an die WHO berichten. Erst nach einer flexiblen Übergangszeit von mindestens 5 Jahren soll die Berichterstattung nur noch ICD-11-kodiert erfolgen. Der konkrete Zeitpunkt einer Einführung der ICD-11 in Deutschland zur Mortalitätskodierung steht noch nicht fest.“

Also für mich in der Praxis vor Ort heißt das erstmal weiterhin ICD-10 anwenden, da es noch gar keine offizielle Übersetzung ins Deutsche gibt. Es existiert lediglich eine Fassung mit automatisierten Übersetzungsverfahren, die zur Zeit von den entsprechenden Experten bearbeitet wird. Für Euch als Prüflinge schließe ich daraus folgendes: Ihr müsst sehr fit in der ICD-10 sein, genau wissen wie man dieses Werk anwendet und wie damit diagnostiziert wird. Dazu gehört, die Hauptkategorien (F0 bis F9) benennen zu können (z. B. F8 Entwicklungsstörungen) und die einzelnen Störungsbilder zu kennen. Kann man sogar einige psychische Störungen auswendig verschlüsseln, ist dies bestimmt nicht von Nachteil! Als Basis solltet Ihr wissen, in welchem Kapitel eine Störung zu finden ist (z.B. eine Anpassungsstörung im Kapitel F4) und wie diese differenziert werden kann (z.B. Anpassungsstörung, mit längerer depressiver Reaktion). Natürlich kann niemand von Euch verlangen, alle Störungen des Kapitels F auswendig bis zur letzten Stelle verschlüsseln zu können.

Ihr solltet, und sei es nur um in der Prüfung punkten zu können, ein paar grundlegende Ideen und Überlegungen zu Klassifikationen kennen und natürlich auch zur ICD-11. Dies könnte beispielsweise die Information sein, dass viele psychische Störungen aus dem Kapitel F der ICD-10 zukünftig im Kapitel 6 der ICD-11 (Mental, behavioural or neurodevelopmental disorders) stehen werden. Aber auch mit dem Hinweis, dass dort weitere psychische Störungen Einklang halten werden, kann eine Prüfungskommission beeindruckt werden. Erwähnt ruhig die oben genannte „Gaming Disorder“ als Computerspielsucht oder das „Hording“, das als pathologisches Horten zu verstehen ist.

Gerade ältere Prüfer wollen gerne auch die Unterteilung der Krankheiten in exogen, endogen und psychogen hören - quasi als Klassiker der Diagnostik schon über hundert Jahre alt, aber gelegentlich immer noch verwendet (die Namen Kraepelin, Bleuler und Schneider seien hier erwähnt). Es schadet also nicht, mit diesem Wissen in der Prüfung zu glänzen. Außerdem empfehle ich Euch, gelegentlich das Thema „Einführung ICD-11“ im Netz zu suchen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: nach Aussage der oben genannten Gesundheitsämter, des BfArMs, eines großen Verbandes sowie aus meiner Sicht, wird die nächsten Jahre die ICD-10 die entscheidende Rolle spielen. Zusätzliches Wissen zur ICD-11 wirkt aber positiv auf Prüfer.

Euch allen weiter viel Spaß und Erfolg beim Lernen oder in Eurem spannenden Praxisalltag!

Bild Dozent Jörg Schaller

Über Jörg Schaller

Jörg Schaller führt als Heilpraktiker Psychotherapie und fortgeschrittener Lösungsfokussierter Berater (IASTI) eine eigene Praxis in Bensberg, Bergisch-Gladbach. Er ist ALH-Absolvent und mittlerweile als Dozent an der ALH-Akademie tätig.

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