Seelisches Trauma nach Trennung
von Caroline de Jong, 12/25, Lesezeit: 5 Minuten
Trennungen sind schmerzhaft. Wenn man die verlassene Person ist, dann ist es sicher leicht nachvollziehbar, dass man zusätzlich zum Schmerz des Verlassenseins oft auch mit Selbstzweifeln konfrontiert ist. Aber wenn man genauer beobachtet, dann können solche Gefühle auch entstehen, wenn man selbst der- oder diejenige ist, der oder die sich getrennt hat. Wie kann das sein? Schließlich hat es zunächst oft ernsthafte und durchdachte Gründe, weshalb man sich dazu entscheidet, eine Beziehung zu beenden. Und dennoch - auch, wenn man sich selbst dafür entscheidet - bleibt oftmals nicht einzig und allein ein Gefühl von Befreiung und Erleichterung, sondern es kommen tiefe Ängste und Unsicherheiten zum Vorschein, welche einem das Leben schwer machen. Wie kann es also sein, dass selbst von uns gewollte Trennungen dazu führen, dass wir zumindest für eine Zeit manchmal den Boden unter den Füßen verlieren?

Wenn wir schauen, was wissenschaftlich dazu erforscht ist, dann geben sowohl Psychologie als auch Biologie auf diese Fragen eine Antwort. Es ist evident, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, der ein tiefes Bedürfnis nach Bindung hat. Langzeitstudien belegen, dass chronische Einsamkeit nicht nur depressive und angstbezogene Symptome verstärkt, sondern auch das Mortalitätsrisiko erhöht - sogar ähnlich stark wie Rauchen. Das zeigt, wie wichtig tragfähige Beziehungen für den Menschen sind. Bindung ist angeboren, ihre Funktion ist die Überlebenssicherung. So wird z.B. das Bindungssystem aktiviert, wenn ein Säugling Stress oder Bedrohung erlebt. Und jede Trennung bedeutet ein Verlust von Bindung. Nun ist es glücklicherweise so, dass wir im Erwachsenenalter nicht mehr so abhängig sind wie als Säugling und im Prinzip auch ohne Bindung überleben können. Dennoch haben wir diese tiefe Veranlagung in uns und haben diverse Bindungs- und auch ggf. Verlusterfahrungen gemacht. Wenn wir nun als Erwachsene mit einer Trennung konfrontiert sind - egal ob selbst herbeigeführt oder von außen auferlegt - erleben wir einen emotionalen Verlust, der potenziell frühere Kindheits-, Bindungs- bzw. Verlusterfahrungen triggern kann.
Und wenn wir im jungen Erwachsenenalter vielleicht einen Verlust erlebt haben oder so wenig Bindung erlebt haben, dass dadurch tiefe Wunden entstanden sind, dann können diese wieder durch eine Trennung im Erwachsenenalter getriggert werden. Das kann dazu führen, dass eine Trennung als traumatisch erlebt wird. Tiefe, alte Wunden in uns berührt und uns diese wieder spüren lässt.
#49 - Trennungsschmerz überwinden: Warum auch die, die gehen, leiden
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Was ist ein seelisches Trauma nach einer Trennung?
In der Psychotraumatologie unterscheidet man verschiedene Typen von Traumata. Es gibt Monotraumata (oder auch Traumatyp I genannt), die entstehen, wenn ein einzelnes, plötzlich auftretendes Ereignis oder eine Situation emotional nicht verarbeitet werden kann; es wird als bedrohlich und nicht bewältigbar erlebt. Es geht mit starken Gefühlen von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust einher und bringt das Nervensystem in einen Zustand anhaltender Überforderung.
Dann gibt es Traumatisierungen des Traumatyps II - dazu zählen u.a. Entwicklungstraumata, die sich aus chronischen Stressoren ergeben. Sie betreffen insbesondere die frühen Lebens- und Bindungserfahrungen eines Kindes. Es ist weniger ein einzelnes Ereignis ausschlaggebend, sondern vielmehr ein chronisches Muster von emotionalen, körperlichen oder relationalen Belastungen. Es gibt noch weitere Arten von Traumata, aber der Einfachheit halber wird es in diesem Artikel bei diesen beiden belassen. Häufig werden durch Trennungen vor allem bereits bestehende Entwicklungstrauma-Strukturen getriggert. Theoretisch kann es jedoch bei sehr plötzlichen Trennungen, die mit schwerwiegendem Vertrauensbruch einhergehen, auch zu einer erneuten Traumatisierung kommen kann. In den meisten Fällen werden bestehende Traumastrukturen durch die Trennung reaktiviert; im ungünstigsten Fall entsteht eine erneute Traumatisierung, die gleichzeitig Entwicklungstrauma-Strukturen triggert.
Unterschied zwischen Liebeskummer und Trauma nach Trennung
Natürlich kann es auch zu Trennungen kommen, ohne dass Traumata getriggert werden. Wie unterscheidet sich also Liebeskummer von einem getriggerten seelischen Trauma? Beides kann mit tiefer Trauer, vorübergehenden Selbstzweifeln und sogar mit Schlaf- oder Appetitverlust einhergehen, schließlich ist ein emotionaler Verlust zu verkraften. Wenn noch Traumastrukturen aktiv sind, werden die Gefühle überwältigender. In einem solchen Fall überlagert sich alter, unverarbeiteter Schmerz mit dem aktuellen Trennungsschmerz. Es kann ein Erleben entstehen, das von Gefühlen der Kleinheit, Hilf-, Schutz- oder Wertlosigkeit geprägt ist. Die Bewältigung dauert häufig länger, und aufgrund der alten, erneut berührten Wunden fühlt sich die Situation existentieller an als Liebeskummer allein. Es kann sogar zu Intrusionen kommen, also zu belastenden inneren Bildern oder Gedankensplittern aus früheren Erfahrungen, ebenso zu körperlichen Symptomen wie Zittern oder einem Gefühl von Enge.
Beim Liebeskummer bleibt eine gewisse Verankerung im Hier und Jetzt bestehen, und Trost kann leichter erlebt werden. Bei einem getriggerten Trauma hingegen wird die Person stärker von alten Gefühlen „überschwemmt“ und ist dadurch deutlich weniger im aktuellen Moment verankert. Wenn sehr frühe Verletzungen werden, können innere Sätze auftauchen wie „Ich zerbreche“, „Ich sterbe innerlich“, „Ich halte das nicht aus“. Auch kann ein Zustand entstehen, in dem man wie neben sich steht (Dissoziation), eine Taubheit oder Schockstarre erlebt und große Schwierigkeiten hat, Trost oder rationale Gedanken anzunehmen, weil zuerst jene frühen, aufgewühlten Anteile, die emotional aktiviert wurden, gesehen, gewürdigt und beruhigt werden müssen.
Erste Schritte zur Bewältigung des Trennungstraumas
Natürlich ist es bei einer Trennung immer gut, besondere Selbstfürsorge zu betreiben, sich Raum zum Trauern zu geben, den Verlust für sich zu würdigen, Gefühle zuzulassen und zu schauen, wie eigene Bedürfnisse befriedigt werden können. Wenn jedoch ein Entwicklungstrauma im Spiel ist, braucht es noch sehr viel mehr an Stabilisierung und Selbstmitgefühl. Gegebenenfalls benötigst Du auch professionelle Hilfe – es ist wichtig, dass Du mit einer medizinischen oder therapeutischen Fachkraft sprichst, solltest Du das Gefühl haben, Du kannst diese Situation nicht allein bewältigen!
Hier sind ein paar Impulse, wie Dir geholfen werden kann, wenn Du Dich allein stabil genug dafür fühlst:
- Erkenne für Dich, dass diese heftigen Emotionen aus Deiner Kindheit stammen und dass sie zwar durch die aktuelle Trennung ausgelöst werden, in Wirklichkeit aber auf frühere Erfahrungen zurückgehen.
- Wenn es möglich ist, spüre hin zu dem inneren Kind, das so in Not ist. Sprich mit ihm, fühle, was es braucht, und finde kreative Lösungen, ihm das zu geben. Manchmal braucht es vielleicht Körperkontakt oder anderweitigen Kontakt zu einer anderen, ebenfalls nahen Bindungsperson.
- Stärke den Hier –und-Jetzt-Anker: Die Verankerung im Hier und Jetzt kann durch Achtsamkeitsübungen unterstützt werden, bei denen mithilfe der Sinne die Umgebung wahrgenommen wird oder äußere Kontaktpunkte, die mit einer Oberfläche verbunden sind, zum Beispiel eine Sitzfläche, der Kontakt zu Boden oder der Kontakt der Hände zum Lenker.
- Es kann auch helfen, viel in die Natur zu gehen, um im Hier und Jetzt anzukommen, Abstand zu inneren Gedanken und Gefühlen zu schaffen und dadurch eine Verankerung im Moment - und damit auch in sich - zu ermöglichen.
- Gutes Essen sowie regelmäßige Bewegung oder Sport unterstützen die Regulation des Nervensystems.
- Wähle bewusst Räume, in denen Du Dich sicher und wohlfühlst. Dieses Gefühl von Sicherheit und Wohligkeit kann auch durch Fantasiereisen oder die Vorstellung eines inneren sicheren Ortes unterstützt werden.
- Aufmerksamkeit auf das Gute lenken: Es gibt viele Übungen aus der Positiven Psychologie, die einen stabilisierenden Charakter haben, weil sie uns dazu einladen, wertzuschätzen, was es neben dem Verlust und dem Schmerz an Gutes in unserem Leben gibt. So kannst Du ein Dankbarkeitstagebuch führen oder es können täglich drei Momente vor Augen geführt werden, in denen Wohlbefinden oder Frieden erlebt wurde.
- Sozialer Support: Suche Kontakt zu Menschen, die guttun, in deren Nähe ein Gefühl von Aufgehoben- und Verstandensein entsteht. Kontakt und das Erleben von Bindung zu anderen Personen können einen Verlust erleichtern.
- Trigger erkennen und klare Grenzen setzen: Auch wenn Sehnsucht nach der Person bestehen kann, mit der die Beziehung beendet wurde, ist es hilfreich zu beobachten, was der Kontakt zu dieser Person tatsächlich in Dir auslöst. Reißt er immer wieder Wunden auf? Stößt er fortwährend neue Trauerprozesse an? Es ist wichtig, klare Grenzen zu setzen, um nicht wiederholt mit dem Trigger in Kontakt zu kommen und loslassen zu können.
Langfristige Strategien zur Stärkung und Überwindung eines Traumas nach Trennung
Auch hier gilt: Du musst diese Phase nicht allein bewältigen. Es kann hilfreich sein, Unterstützung durch Psychotherapeutinnen oder –therapeuten in Anspruch zu nehmen, um bestmögliche Stabilisierung zu erreichen und das Trauma aufzuarbeiten.
Was Du allein tun kannst, sofern Du Dich stabil genug fühlst:
- Selbstwert aufbauen und stärken: Ein Merkmal eines Traumas ist, dass der Selbstwert innerlich sehr stark beeinträchtigt wird. Es kann deshalb hilfreich sein, diesen gezielt wieder aufzubauen, beispielsweise durch Selbstmitgefühl, Selbstfürsorge, Affirmationen oder tragfähige Bindungen.
- Neue Ziele und Visionen entwickeln: Hier geht es darum, den Blick auf die Zukunft zu richten und neue Ziele im Leben zu formulieren, die unabhängig von vergangenen Beziehungen bestehen und auf die zugearbeitet werden kann.
- Aufbau eines gesunden Lebensstils: Es ist sinnvoll, eine stabile Basis zu schaffen, die zu innerer Balance beiträgt. Dazu können neue Hobbys, eine gesunde und nährstoffreiche Ernährung, regelmäßige Aufenthalte in der Natur sowie eine gute Schlafhygiene gehören.
- Gesunde Beziehungen aufbauen: Bindungserfahrungen sind überschreibbar und Bindungsstile sind in gewissem Umfang erlernbar, sodass auf diese Weise tiefe Heilungsprozesse möglich werden. Dafür braucht es allerdings verlässliche, gesunde Bindungserfahrungen. Wenn diese im eigenen Leben nicht ausreichend vorhanden sind oder nicht genutzt werden können, kann professionelle Unterstützung hilfreich sein.
Wann professionelle Unterstützung notwendig ist
Wenn Du existenzielle Not erlebst, die Dir in dieser Intensität nicht bekannt ist, solltest Du auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn Du bereits Therapieerfahrung mitbringst und Dir das getriggerte Thema bekannt ist, dann kannst Du selbst abwägen, ob Du Dir mit Deinen erlernten Bewältigungsstrategien und Tools zunächst selbst helfen kannst oder ob und wann Du Unterstützung von außen benötigst. Gerade bei getriggerten Entwicklungstraumata kann eine professionelle Fachkraft notwendig sein, um eine innere Not zu lindern, die wir allein kaum bewältigen können. Schließlich ist die ursprüngliche Wunde im Kontext einer Beziehung entstanden, und häufig braucht es eine heilsame Beziehung als Gegenpol.
Selbsthilfegruppen oder digitale Beratungsangebote können ebenfalls hilfreiche Angebote sein, um in einer solchen Situation Unterstützung zu erhalten.

Sei gut zu Dir
Trennungen sind oftmals schwer, unabhängig davon, ob sie selbst initiiert wurden oder unfreiwillig geschehen. Oftmals triggern sie alte Wunden bzw. entwicklungstraumatische Strukturen, die eine überwältigende, teils sogar existentielle Notauslösen können. Gerade in solchen Phasen braucht es einen besonders liebevollen, fürsorglichen Umgang mit sich selbst - ein Anerkennen, Würdigen und Verstehen der eigenen Not sowie stabilisierende und orientierungsfördernde Strategien, die ins Hier und Jetzt zurückführen. Die Gefühle können so heftig werden, dass leicht eine Überforderung entsteht, denn das Wesen eines Traumas beinhaltet per definitionem eine solche Überforderung. Daher kann es hilfreich sein, Unterstützung zu suchen, sozialen Rückhalt zu aktivieren oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn ja, es gibt Hilfe, und die Belastung wird vorübergehen, auch wenn das Erleben zeitweise etwas anderes suggerieren mag.

Über Caroline de Jong
Caroline de Jong arbeitet mit ihrem Hintergrund als Psychologin (MSc.), Körper-Psychotherapeutin, Achtsamkeits- und Yogalehrerin als Dozentin an der ALH-Akademie. Seit über 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Positiver Psychologie, Bewusstseinsentwicklung und Ganzwerdung und freut sich über jeden, der auf diese Themen neugierig ist.